Tagungsbericht: Kirche relational!

Soziale Netzwerke von und in christlichen Organisationen

Am 7./8.1.2019 veranstalteten SIMON RUSCHER (FRIAS Freiburg) und MIRIAM ZIMMER (zap Bo-chum) an der Universität Freiburg die Tagung „Kirche relational! Netzwerke von und in kirchlichen Organisationen“. Ziel der Tagung war ein interdisziplinärer Austausch über die Projekte und Stu-dien die sich mit Kirche aus einer relationalen Perspektive beschäftigen. Erfreulich war zunächst die breite Interdisziplinarität und Interkonfessionalität der Beiträge.

Nach einer organisatorischen und thematischen Einführung durch MIRIAM ZIMMER und SIMON RUSCHER behandelte der erste Themenblock Netzwerke von Kirchengemeinden. Im Eingangsvortrag ging es um die Kooperation von Diakonie und Kirche. DANIEL WEGNER weist in diesem Zusam-menhang auf die Diskrepanzen hinsichtlich der unterschiedlichen Aktivitätsintensität von Koope-rationspartnern in Netzwerken hin. Kooperationen sind dabei oftmals im hohen Maße personen-abhängig. Sie entstehen in der Regel im informalen Kontext. Gerade in der Gemeinwesendiakonie zeigt sich eine Kluft zwischen professionellen und ehrenamtlichen Akteuren. HILKE REBENSTORF referierte zum Zusammenhang von Kirche und Zivilgesellschaft. Anhand qualitativ gewonnener egozentrierter Netzwerkkarten von Kirchengemeinden identifizierte sie dabei eine Reihe von Netz-werktypen und schloss daraus auf ihre zivilgesellschaftliche Relevanz von Kirche im Sozialraum. Eine Kirche als Netzwerk pastoraler Orte und Ereignisse untersuchte Tobias Dera und kombinierte netzwerktheoretische Zugänge mit dem Evangeliumsbegriff. Mithilfe von flanierenden Interviews an Orten, die für seine Interviewpartner eine lebenstragende Bedeutung haben, deckte er narrative Zuschreibungen pastoral bedeutsamer Bezugspunkte auf und stellte sie in einen symbolischen Netzwerkzusammenhang.

Die Perspektive spitzte sich im zweiten Themenblock regional zu. Nun stand die Analyse von Netz-werken von Kirche im Kontakt von Regionalentwicklungsprozessen im Zentrum. CHRISTINA WEYER-HÄUSER richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Sepulkralkultur in vorwiegend länd-lichen Regionen. Hierbei stellte sie die soziale Interaktion bei Beerdigungs- und Trauerfeiern in den Mittelpunkt. Vor allem die dörfliche Struktur zeichne sich diesbezüglich durch weitgehend homogene und stabile Netzwerksverbindungen aus. Einen historisch-quantitativen Zugang vertrat MALTE DOEHNE. Auf der Grundlage zwei großer Datensätze untersuchte er Netzwerkmechanis-men lokaler Wissens-Spillover am Beispiel von Klostergründungen im Zeitraum von 1000 bis 1900 n. Chr. Ordensgemeinschaften leitsteten dabei einen beträchtlichen Beitrag zu regionalen Innovationsprozessen. MARTIN WAßINK beschloss das zweite Themenfeld mit einem Vortrag zum nordostbayrischen Strukturwandel und dem Beitrag von Kirche in diesem Regionalentwicklungs-prozess. Dabei stellte er die Bedeutung kooperativer Dörfer ins Zentrum.

Die Tagung schloss am Folgetag mit einem Panel zur relationalen Kirchentheorie. BJÖRN KRAUS stellte seinen Ansatz einer relationalen konstruktivistischen Theorie zur Sozialen Arbeit vor. Etwa für die Kinder- und Jugendhilfe entscheidend: Erkenntnistheoretisch könne man nicht unmittelbar auf die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen zugreifen, sondern ist – relational konstruktivis-tisch – auf das Zueinander von subjektiv empfundener Lebenswelt und intersubjektiv wahrnehm-barer Lebenslage angewiesen. FELIX ROLEDER präsentierte zwei Forschungsperspektiven. Zum ei-nen stellte er die Vollnetzwerkerhebung der fünften Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD

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16.01.2019

vor. Methodisch wurden hierfür evangelische Gemeindemitglieder hinsichtlich ihrer religiösen Kommunikationsbeziehungen, ihrer Alltagskontakte und kirchlichen Bezugspersonen befragt. Zum anderen stellte er Thesen zur Verknüpfbarkeit von Netzwerkforschung und Kirchentheorie vor und betrachtete dabei Aspekte wie Sozialvertrauen, Freundschaftsnetzwerke und Beziehungs-qualität. MIRIAM ZIMMER stellte ein Rollenmodell professioneller, kommunaler Netzwerke vor. Auf der Basis von zwei Forschungsprojekten konnte sie Egonetzwerke professioneller Akteurinnen ty-pisieren. Mit Hilfe rollentheoretischer Erwägungen entwarf sie sechs typische Rollenbilder der Ver-netzung im kommunalen Sozialräumen. Abschließend holte SEBASTIAN KIEßIG die Netzwerkdi-mension in einer theologischen Betrachtung ein. Nach einer Vorstellung des Konzepts der Com-munio-Ekklesiopraxie wies er auf bereits anfängliche Rezeptionen des Netzwerksbegriffs in lehr-amtlichen Dokumenten hin. Dabei formulierte er Anfragen der Netzwerktheorie an die Commu-nio-Theologie und macht auch auf theologische Überhangsprobleme des Netzwerkgedankens auf-merksam.

Die Tagung zeichnete sich durch eine sehr offene und diskussionsfreudige Atmosphäre aus, die der eines Forschungskolloquiums ähnelte. Dadurch entstand ein reger Austausch zwischen den Referenten und Gästen der Tagung. Insgesamt profitierte die Tagung von ihrer interdisziplinären Konzeption und der daraus folgenden komplexen Auseinandersetzung mit dem Thema. Dies er-möglichte für alle Teilnehmer*innen neue Perspektiven auf ihre Forschungen. Common sense: die Sozialform Kirche eignet sich für gut für interdisziplinäre Betrachtungen und ist vielfältig an-schlussfähig. Auch zentrale Herausforderungen wurden benannt. Zum einen sind im interdiszip-linären Austausch die Definitionen und Konzeptverständnisse sehr divers. Es bedarf damit immer einer deutlichen Begriffsklärung. Gerade in den theologischen Debatten scheint besteht weiterer innerdisziplinärer Forschungs- und Begründungsbedarf für die Adaption des sozialwissenschaftli-chen Netzwerkbegriffes. Hier zeigten sich Problemhorizonte bei der – notwendigen – Übertragung sozialempirischer Methoden und Ansätze auf dogmatisch-theologische Denkfiguren. Für die Frage nach der sozialwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn aus dem Forschungsobjekt Kirche boten ge-rade die Feldstudien eindrückliche Einblicke in Prozesse der Deinstitutionalisierung bzw. des or-ganisationalen Wandels von Großorganisationen.

Die Teilnehmer*innen sprachen sich für eine Wiederholung der Veranstaltung in nach etwa 2 Jah-ren mit eventueller thematischer Zuspitzung aus. Die Verantstalter*innen bedanken sich für die engagierten Beiträge aller Beteiligten.

Miriam.zimmer@rub.de

simon.ruscher@frias.uni-freiburg.de